Referentenentwurf zur neuen Gefahrstoffverordnung

 

Ansatz der neuen Mitwirkungspflicht bei Asbest | Fachkunde für alle! | Folgen für die Baubranche

Bereits im März diesen Jahres hat die Bundesregierung nach vielen Jahren des Diskurses einen Referentenentwurf zur Neufassung der GefStoffV veröffentlicht. Wir möchten die Sommerpause nutzen um Sie auf das vorzubereiten, was da möglicherweise auf die Baubranche zurollt.

Es war ein langer Weg zu diesem Referentenentwurf. Sehr lang. Eigentlich sollte die Neufassung der GefStoffV bereits 2015 abgeschlossen sein. Wie bereits in anderen Fachartikeln geschildert, besteht in der Asbestwelt spätestens seit Veröffentlichung des VDI Diskussionspapier 2015 >>  und der Kernaussage, dass in einem signifikanten Anteil der Baumasse in Deutschland Asbest vorhanden ist, dringender Handlungsbedarf seitens des Gesetzgebers. 

Thema Asbest ist maßgeblicher Inhalt der Neufassung

Der vorliegende Entwurf hat zum Ziel die Beschäftigten sowie weitere am Bau Beteiligte besser vor berufsbedingten Erkrankungen - insb. den asbestbedingten - zu schützen.

 

Im Wesentlichen verfolgt die Neufassung der GefStoffV dies mit Hilfe der vollständigen Implementierung des risikobezogenen Maßnahmenkonzeptes bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen der Kategorie 1A oder 1B allgemein, als auch im Speziellen mit dem als krebserzeugend Kategorie 1A eingestuften Asbest. Außerdem wird der Veranlasser einer Baumaßnahme beim Thema Asbest deutlich stärker in die Pflicht genommen. Das wurde auch Zeit - zumal die Ermächtigungsgrundlage seit Jahren in § 19 (3) Chemikaliengesetz enthalten ist.

 

Durch die Änderung der Gefahrstoffverordnung sollen die Ergebnisse des nationalen Asbestdialogs >> umgesetzt werden. 

Referentenentwurf Gefahrstoffverordnung Asbest neue TRGS 519
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Referentenentwurf GefStoffV - März 2022
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An dieser Stelle möchten wir die Änderungen in Bezug auf die Asbestthematik kompakt zusammenfassen und jeweils mit einer kurzen Erläuterung versehen:

1.   § 2 Abs. (8) - Implementierung Akzeptanz- & Toleranzkonzentration in die GefStoffV

Wir kennen die beiden Begrifflichkeiten bereits aus der TRGS 519. Dieses Risikokonzept nach Maßgabe der TRGS 910 wird nun in die GefStoffV "gehoben". Konkret wird hier unterschieden zwischen 3 Risikostufen:

  1. Verbleib unterhalb der Akzeptanzkonzentration: Geringes Risiko - somit geringe Anforderungen an Schutzmaßnahmen im Umgang mit Asbest.
  2. Überschreitung der Akzeptanzkonzentration bis Erreichen der Toleranzkonzentration: mittleres Risikodeutlich erhöhte Anforderungen an Schutzmaßnahmen im Umgang mit Asbest. 
  3. Überschreitung der Toleranzkonzentration: hohes Risiko - hohe Anforderungen an Schutzmaßnahmen im Umgang mit Asbest

Leider werden in diesem Zusammenhang - wie in der TRGS 519 Nr. 1 Abs. (5)  beschrieben - die assoziierten Risiken nicht aufgeführt. jedoch bildet der § 2 hier die Grundlage für den neuen Ansatz der TRGS 519: Dem "Ampelmodell" gemäß Anlage 9 >>. Wenn die GefStoffV sodann verabschiedet wird, wird sich im direkten Anschluss auch die TRGS 519 ändern und der Ansatz der tabellarischen, tätigkeitsbezogenen Expositions-Risiko-Matrix bekommt endlich den dringend benötigten Schub (vgl. auch TRGS 519 - Anlage 9)!

2.   § 5 Abs. (3) - (5) - Sicherheitsdatenblatt sowie sonstige Informations- und Mitwirkungspflichten

Jetzt wird es interessant - nachfolgend der neu eingefügte Absatz (3):

„(3) Wer Tätigkeiten an baulichen oder technischen Anlagen veranlasst, die Gefahrstoffe enthalten können, die durch diese Tätigkeiten freigesetzt werden können und zu besonderen Gesundheitsgefahren führen können, hat besondere Informations- und Mitwirkungspflichten. Zu den Mitwirkungspflichten zählt vor Aufnahme der Tätigkeiten die Erkundung, ob entsprechend der Bau- oder Nutzungsgeschichte des Objekts Gefahrstoffe, insbesondere Asbest, vorhanden oder zu vermuten sind, die durch die Tätigkeiten freigesetzt und zu einer Gefährdung führen können.

Das Vorhandensein von Asbest wird in der Regel dann vermutet, wenn der Baubeginn des Objekts vor dem 31. Oktober 1993 liegt. Sind im Abschnitt 2 des Anhangs zu § 1 der Chemikalien-Verbotsverordnung vom 14. Oktober 1993 aufgeführte Stoffe, Zubereitungen oder Erzeugnisse verbaut, sind die dort jeweils genannten Übergangsfristen für die Vermutung maßgeblich. Die Vermutung, dass aufgrund des Baubeginns Asbest vorhanden ist, kann durch eine weitergehende technische Erkundung widerlegt werden. Alle Erkundungsergebnisse sind vor Beginn der Arbeiten an das beauftragte Unternehmen weiterzugeben." 

 

"(5) Die Absätze 3 und 4 gelten auch für private Haushalte.“ 

 

Hoppla! Nochmal im Klartext: Sämtliche bauliche oder technische Anlagen, welche vor Oktober 1993 gebaut worden sind, unterliegen somit defacto einem Generalverdacht (81% aller Wohnungen/Häuser in Deutschland sind vor 1993 gebaut worden - Quelle: Statistisches Bundesamt). Dieser Generalverdacht kann nur durch eine Erkundung im Vorfeld des Eingriffs widerlegt werden. Heißt das etwa, dass unabhängig vom Umfang der Maßnahme - von der Steckdose setzen bis zur kompletten Kernsanierung - entweder beprobt werden muss oder die Leistung pauschal nach vollem Programm gemäß TRGS 519 ausgeführt werden muss?

Ja. das heißt es. Und der Widerstand ließ nicht lange auf sich warten. So spricht der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. in seiner Stellungnahme zum Entwurf von zusätzlichen Milliardenaufwendungen/Jahr für die Wohnungswirtschaft und führt hierzu konkrete Beispiele auf (hier geht es zur Stellungnahme >>).

 

Das Motiv der Immobilienbranche liegt hierbei auf der Hand: Eine ganze Menge Ärger in Verbindung mit hohen Kosten zur Lasten der Eigentümer, Mieter und Investoren. Leider lässt die Stellungnahme eine Alternativlösung offen und "regt" lediglich an, die Regelung des § 5 Abs. 3 bis 5 GefStoffV noch einmal im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit zwischen Gefährdungspotenzial und Aufwand zu überprüfen.

 

Aber was wäre eine Alternative? So weitermachen wie bisher? Keine gute Idee bei stabil hochbleibenden Todeszahlen infolge von asbestbedingten Berufskrankheiten.

 

Wir haben es bereits in unserem Artikel zur Leitlinie Asbesterkundung >> beschrieben und führen das Prinzip des neuen § 5 Abs (3) - (5) in nachfolgendem Schaubild noch einmal auf (durch klicken vergrößern Sie die Grafik):

neue Gefahrstoffverordnung - Leitlinie Asbest

3.   § 11 - Herstellungs- und Verwendungsbeschränkungen zu Asbest

§ 11 konkretisiert die Herstellungs- und Verwendungsbeschränkungen zu Asbest und pflegt Inhalte aus der TRGS 519 sowie der LV 45 >> und der Asbest Richtlinie ein. Die verbotenen Tätigkeiten mit Asbest unter Absatz (1) werden von der "alten" Anlage II Nr. 1 in den neu eingefügten § 11 gehoben und werden insb. durch die Absätze (2) und (3) konkretisiert. Weiterhin werden die wichtigen Begrifflichkeiten Abbruch-, Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten näher erläutert und endlich auf den neusten Stand gebracht. Hier gab es in den letzten Jahren diverse Klarstellungen, Auslegungen und "Leitsätze", welche schlecht zugänglich sowie nicht hinreichend bekannt waren und nunmehr in die Neufassung der GefStoffV sauber integriert werden. 

 

Im Absatz (3) wird das Überdeckungsverbot, welches in den letzten Jahren immer wieder für Diskussionen sorgte, wie folgt neu gefasst:

(3) Die Ausnahmen nach Absatz 2 gelten nicht für

  1. eine feste Überdeckung oder Überbauung asbesthaltiger Bauteile oder Materialien in oder an baulichen Anlagen, die beim früheren Einbau einzeln befestigt wurden,
  2. Reinigungs- und Beschichtungsarbeiten an nicht vollflächig beschichteten Asbestzementdächern und Außenwandverkleidungen aus Asbestzement.

Das Überdeckungsverbot für asbesthaltige Bauteile oder Materialen wird nicht 1:1 aus den Leitsätzen der LV 45 übernommen, sondern definiert dieses über eine "einzelne Befestigung" (z.B. AZ-Platten, Floor-Flexplatten, AZ-Kanäle oder Leichtbauplatten). 

 

Im Absatz (5) wird auf die Zulässigkeit von Instandhaltungsmaßnahmen eingegangen. Unter anderem darf es kein hohes Risiko unterhalb der Toleranzkonzentration für die Beschäftigten geben.

4.   § 11a - Anforderungen bei Tätigkeiten mit Asbest

§ 11a führt im Wesentlichen die Arbeitgeberpflichten im Zusammenhang mit ASI-Arbeiten an asbesthaltigen Bauteilen auf. Hier ist auch die Verpflichtung seitens des Arbeitgebers aufgeführt, die unter § 5 (siehe oben) zur Verfügung gestellten Erkundungsergebnisse zu berücksichtigen und auf Plausibilität zu prüfen. Das kann in der Praxis durchaus zu Problemen führen, da aufgrund der Komplexität von Asbesterkundungen die resultierenden Ergebnisse durchaus eine breite Angriffsfläche bieten. Abhilfe kann hier die VDI 6202 Blatt 3 sein, welche einen Standarduntersuchungsumfang im Rahmen der Erkundung festlegt (siehe hierzu auch unseren Fachartikel zur VDI 6202 Blatt 3 >>). Die Absätze (2) - (4) des § 11a beinhalten im Wesentlichen Maßgaben, welche bisher in der TRGS 519 beschrieben sind und auf das neue "Ampelmodell" justiert werden.

 

Dem Absatz (5) unter Nr. 3 ist folgender Satz zu entnehmen:

(5) Der Arbeitgeber hat bei Tätigkeiten mit Asbest sicherzustellen, dass

3. die Tätigkeiten nur von Beschäftigten durchgeführt werden, die über eine Fachkunde nach Anhang I Nummer 3.6 verfügen.

 

Anhang I Nummer 3.6:

3.6 Fachkunde

Die Fachkunde nach § 11a Absatz 5 Nummer 3 umfasst die fachlichen Kenntnisse und Fertigkeiten, die erforderlich sind, um Tätigkeiten mit Asbest fachgerecht durchzuführen. Diese können im Rahmen der Berufsausbildung, durch innerbetriebliche Schulungen oder durch die Teilnahme an entsprechenden Fortbildungsmaßnahmen erworben werden. Hinsichtlich des Inhalts und des Umfangs der Fachkunde sind die nach § 20 Absatz 4 bekanntgegebenen Regeln und Erkenntnisse zu berücksichtigen.

 

In Zukunft müssen also neben den Sachkundigen (Anlage 3 oder 4C TRGS 519 >>) auch sämtliche Mitarbeiter, welche ASI-Arbeiten ausführen, eine Fachkunde gemäß GefStoffV besitzen. Die Inhalte dieser Fachkunde werden mit Verweis auf den § 20 Abs. (4) in der TRGS 519 definiert. Wir werden geeignete Formate entwickeln (Online + Offline), so dass diese Fachkunde bei den Mitarbeitern erlangt wird. Wir halten Sie hier selbstverständlich auf dem Laufenden. 

Folgen der neuen GefStoffV für die Bau- und Immobilienbranche

Die Folgen, insbesondere die Einführung des Generalverdachts, werden nach Aussage des GDW "Konsequenzen mit erheblicher Tragweite" zur Folge haben. In der Asbestwelt tut sich was und das ist gut so meinen wir. Endlich wird der Veranlasser direkt mit ins "juristische Boot" geholt. Die Baupraxis wird zeigen, wie erheblich die Tragweite tatsächlich wird. Ein Gesetz bedarf immer einer praktischen Umsetzung und des Vollzugs seitens der Behörden. 

 

Eines steht jedoch fest: Der Bedarf an Qualifikation zum Thema Asbest beim Bauen im Bestand wird zunehmen. Kein Handwerksbetrieb, geschweige denn Abbruchunternehmen oder Dienstleister im Bestand werden um eine Weiterbildung rum kommen. 

 

Nutzen Sie den kommenden Winter >>. Wir halten Sie auf dem Laufenden.

 

Herzlichst - Volker Eink.

neue Gefahrstoffverordnung

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